Was ist eine Schnitzfolge?
Die Suppinger „Schnitz“ und „Anbinder“ geben dem Suppinger Liederbuch seine besondere Prägung. Es sind Schelmenliedchen, die in freier Folge je nach Anlass, Geschmack und Einfall aneinandergereiht an Lieder angehängt werden. Diese Schnitzfolgen wurden nie endgültig festgelegt, sondern werden dem sich wandelnden Ausdrucksbedürfnis zwanglos angeglichen, erweitert, verändert und zurechtgesungen. Sie wurzeln im Leben des Albdorfes Suppingen und sind, darauf bezogen, Bericht, Kommentar und Klosse in einem zu sein. Ein knapper Bestand von Melodienkernen entfaltet im Zusammenspiel mit dem Dialekt eine erstaunliche Vielfalt. So merkt man oft erst durch genaues Hinhören, dass etliche Schnitz, so verschieden sie doch vom Text her sind, die gleichen Melodien haben. Dadurch ergibt sich, dass die Schnitz den Hintersinn und die Widersprüchlichkeit oder die Neigung, Gegensätze zu verbinden, die man dem Schwäbischen gerne nachsagt, durch die Musik verstärkt zur Geltung bringt. Sinnfällig ist dies, wenn Handfeste Erotik und Zärtlichkeit zusammenkommen oder wo Erfahrung in Spott umgemünzt wird. Der Spott gilt nicht nur den Mädchen sondern auch der eigenen Erfahrung und wirkt durch den Gesang noch ausgelassener, bleibt aber gleichzeitig durch die milde Ordnung und Distanzierung, zu der die Musik verhilft, erträglich und versöhnlich.
Auf der anderen Seite sind auch im zärtlichen Seufzer, im gefühlvollen Liebesliedchen, die eher widerborstigen Züge der Alb und ihrer Bewohner nicht ganz verschwunden. Die Texte wirken daher volkstümlich, ohne falschen Zungenschlag. Zu den schwäbischen Texten gehört auch das schwäbische Diminutiv, die sogenannte Verkleinerungsform, gebildet durch die Nachsilbe „le“, z. B. „Schnaile“, „ Stiagale“, „ Lädale“ oder „Mädele“. Der schwäbische Diminutiv bewirkt keine Verniedlichung, eher kommt ein zärtliches Augenzwinkern darin zum Ausdruck.
Wo Gefühle im Spiel sind oder gar davon gesprochen werden soll, wird dem verschlossenen Älbler leicht unbehaglich. Darum greift er zur Verkleinerung und kann nun damit umgehen. Diese liebenswerte Verse und Liedchen strahlen aber auch jene Gelassenheit und Heiterkeit aus. Die man in Suppingen, dem rauen Klima der Alb und zahlreichen Wechselfällen der Geschichte wohl im Laufe der Zeit entgegenzusetzen gelernt hat. Die Schnitzfolgen werden je nach geeigneten Abschnitten, von zwei- bis vierstimmigem Gesang vorgetragen, wobei sorgfältig darauf geachtet wird, dass die Eigenart und das Textverständnis nicht beeinträchtigt werden.